Frau Lisa-Maria Rehe ist Qualitätsbeauftragte im Haus Münzehof und unter anderem auch im Bereich Gesundheitsmanagement tätig. Frau Nicole Ulrich arbeitet als Pflegedienstleitung. Die Bewohnerin Frau Ursula Hentsch wohnt seit etwas über einem Jahr in der Pflegeeinrichtung.

Virtuelle Reisen, echte Wirkung: Aktivierung mit dem Bike Labyrinth
Im Haus Münzehof wird seit einiger Zeit ein besonderes digitales Angebot genutzt, das Bewegung, Erinnerung und Freude verbindet: das Bike Labyrinth. Auf einem feststehenden Fahrradergometer können Bewohnerinnen und Bewohner virtuelle Radtouren durch bekannte Städte und Landschaften unternehmen – eine innovative Möglichkeit zur Aktivierung, die sowohl körperlich als auch kognitiv anregt.
PflegeDigital@BW: Zunächst vielen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, heute mit uns zu sprechen. Zum Einstieg möchten wir generell etwas zu den Entwicklungen in der stationären Langzeitpflege wissen:
Welchen Stellenwert nehmen denn solche digitalen Tools überhaupt in der stationären Einrichtung bei Ihnen ein oder speziell auch auf das Bike Labyrinth bezogen?
Lisa-Maria Rehe: Bisher tatsächlich eher einen geringeren. Abgesehen von der Pflegedokumentation, die natürlich ein fester Bestandteil ist, wird bislang wenig digital gearbeitet. Wir haben zum Beispiel die Lindera-App, die jedoch aktuell noch nicht im Einsatz ist – vor allem, weil es zeitaufwendig ist, sich in neue Anwendungen einzuarbeiten. Außerdem nutzen wir ein Tablet zur Wunddokumentation. Bei solchen Tools ist es jedoch wichtig, dass die Mitarbeitenden entsprechend geschult werden, um sie auch effektiv einsetzen zu können.
PflegeDigital@BW: Der Einsatz digitaler Tools ist bei Ihnen aktuell noch punktuell – etwa bei der Pflegedokumentation oder Wundversorgung. Gibt es denn Überlegungen oder Wünsche, dass digitale Angebot künftig noch zu erweitern?
Rehe: Ich denke, das Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden – auch an Ideen mangelt es nicht. Oft denkt man sich: Das wäre jetzt wirklich hilfreich. Doch in der Praxis stoßen digitale Tools manchmal auf wenig Resonanz bei den Bewohnerinnen und Bewohnern – entweder, weil sie im Moment ‘zu digital’ wirken oder weil die Anwendung zunächst nicht verständlich ist. Wenn man die Technik allerdings zeigt und erklärt, verstehen sie sie meist durchaus. Ich könnte mir vorstellen, dass bestimmte digitale Anwendungen besonders für Bewohnerinnen und Bewohner ohne kognitive Einschränkungen eine gute Möglichkeit bieten könnten, mit Angehörigen in Kontakt zu bleiben. Auch der Einsatz von Sensortechnik zur Ortung – etwa zum Schutz von Menschen mit Hinlauftendenz – wäre ein relevantes Thema. Es kam bereits vor, dass Bewohnerinnen oder Bewohner die Einrichtung unbemerkt verlassen haben und nicht zurückfanden. Dennoch muss der Einsatz solcher Systeme, insbesondere bei dementiell erkrankten Menschen, auch immer unter ethischen Gesichtspunkten betrachtet werden.
Nicole Ulrich: Natürlich ist auch der Sicherheitsaspekt dabei zu bedenken. Gerade bei Menschen mit Hinlauftendenz ist es dann schwierig abzuwägen, in welche Richtung zuerst gesucht werden sollte. Um die Person dann ausfindig zu machen, müssen auch genug personelle Ressourcen vorhanden sein.
Rehe: Allgemein ist die Anschaffung neuer, digitaler Tools natürlich auch finanziell eine Herausforderung. Um diese Tools in die Einrichtung integrieren zu können, müssten alle an der Pflege beteiligten Personen miteinbezogen und informiert sowie geschult werden. Auch dafür ist es erforderlich, Freiräume zu schaffen.
PflegeDigital@BW: Seit wann ist denn das Bike Labyrinth jetzt bei Ihnen in der Einrichtung im Einsatz? Und was hat Sie überhaupt dazu motiviert, es anzuschaffen?
Rehe: Als Ihr Transfermobil bei uns in der Einrichtung war, wurden verschiedene Tools ausgestellt. Unter anderem das Bike Labyrinth. Wir haben festgestellt, dass diese Technologie wie ein Magnet auf die Bewohnerinnen und Bewohner wirkte. Es war einfach zu verstehen und nach einer kurzen Einführung, konnte es selbstständig bedient und genutzt werden. Die einfache Bedienung war einer der Hauptgründe für die Anschaffung. Ein weiterer Grund war die Biographiearbeit. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben so die Möglichkeit, noch einmal virtuell den früheren Urlaubsort oder die Heimat zu besuchen, durch die Straßen zu fahren, in denen sie aufgewachsen sind oder neue Gegenden zu erkunden. Gerade diese Möglichkeiten unterscheiden das Bike Labyrinth von den herkömmlichen Fahrradergometern. Wichtig für uns war es, dass das Tool selbstständig benutzt werden kann und jede Person in der Einrichtung unabhängig von den Therapieeinheiten, frei entscheiden kann, das Fahrrad zu nutzen und in Erinnerung zu schwelgen.
PflegeDigital@BW: Welche Herausforderungen ergaben sich durch die Anschaffung des Bike Labyrinths?
Rehe: Anfangs hatten wir Bedenken bezüglich der Wlan-Verbindung. Das Herunterladen neuer Routen oder allgemeine technische Schwierigkeiten in der Einrichtung, welche sich dann auf die Nutzung des Bike Labyrinths auswirken könnten, waren erstmal herausfordernd. Natürlich versuchen wir auch die Wünsche der Bewohnerinnen und Bewohner in Bezug auf die Routen zu berücksichtigen und die runterzuladen, welche am ehesten interessant sein könnten.
PflegeDigital@BW: Und wie waren letztendlich die Akzeptanz und Nutzung im Alltag?
Rehe: Tatsächlich unterschiedlich. Wir haben ein paar Bewohnerinnen und Bewohner, die wirklich jeden Tag dran saßen. Ein Bewohner hat das Bike Labyrinth sogar den ganzen Tag lang genutzt. Eine Hemmschwelle ist bei manchen schon vorhanden. Wenn aber bei der erstmaligen Benutzung jemand von den Pflegenden dabei ist, „trauen“ sich die meisten schon, es auszuprobieren.
Ulrich: Genau. Die Bewohnerinnen und Bewohner müssen da seitens der Pflege noch etwas separat unterstützt werden. Eine gewisse Hemmschwelle ist da, die digitalen Tools zu benutzen. Oftmals besteht die Angst davor, etwas falsch oder kaputt zu machen. Wenn ihnen dann aber schrittweise der Umgang mit solchen Technologien nähergebracht wird, haben die meisten dann aber doch sehr viel Spaß daran.
PflegeDigital@BW: Ist Ihnen bei der Nutzung des Bike Labyrinths eine Situation besonders im Gedächtnis geblieben?
Rehe: Ja, die Bewohnerin, die uns später noch etwas aus ihrer Sicht erzählen wird, hat gesagt, jetzt könne sie ihren Urlaub von früher noch einmal machen. Das war wirklich schön zu hören.
PflegeDigital@BW: Hallo Frau Hentsch. Schön, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen. Wie erleben Sie das Bike Labyrinth? Was ist Ihr Eindruck?
Ursula Hentsch: Das ist super! Ich kann mir das Gerät jetzt auch alleine einstellen. Dann war mein Mann da und er ist auch gefahren. Das Schönste ist, dass man genau sehen kann, wo man langfährt. Das macht Spaß und ist vor allem nicht so langweilig.
PflegeDigital@BW: Sind Sie früher schon immer gern mit dem Fahrrad unterwegs gewesen?
Hentsch: Ja, schon, aber nicht so oft, durch den Krieg damals war die Anschaffung eines Fahrrads auch eine finanzielle Frage.
PflegeDigital@BW: Wie oft nutzen Sie denn das Bike Labyrinth in Ihrem Alltag?
Hentsch: Oft. Bestimmt zwei- bis dreimal die Woche. Immer eine andere Route. Ich war schon in der Schweiz, in Rom, im Vatikan. Ich war schon in Berlin, da wo ich geboren bin, in Kiel, in Bremen. Dann war ich am Wattenmeer, in Ostfriesland, da wo wir gewohnt haben. In den Alpen, wo Schnee liegt, war ich auch schon. Ich suche mir immer etwas anderes raus. Manchmal fahre ich 15 Minuten, manchmal fahre ich eine halbe Stunde.
PflegeDigital@BW: Was gefällt Ihnen am meisten am Bike Labyrinth?
Hentsch: Am meisten gefallen mir die Bilder. Als ich in Berlin war, konnte ich sogar die Straße sehen, in der wir früher gewohnt haben. Das war schön. Es ist abwechslungsreich.

PflegeDigital@BW: Wie wurde das Bike Labyrinth Ihrer Wahrnehmung nach von den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern aufgenommen? Gab es unterschiedliche Reaktionen?
Hentsch: Skeptisch sind die anderen nicht. Manche möchten es vielleicht gerne nutzen und ausprobieren, können es dann aber leider körperlich nicht. Das ist dann sehr schade.
PflegeDigital@BW: Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben und Ihre Eindrücke mit uns geteilt haben.